01.08.2022

1. August-Feier im Quartiertreff Hirslanden:   Gemeinsames Besammensein in Quartiertreff Hirslanden: Vom Quartier fürs Quartier

1.August-Rede vom Mischa Schiwow, Gemeinderatspräsident 21/22

Liebe Festgäste,

verehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde.

Ich bin vom Quartierverein Hirslanden und seiner Präsidentin Susi Lüssi als noch amtierender Gemeinderatspräsident an diese Veranstaltung eingeladen worden – jetzt bin es schon seit gut drei Monaten nicht mehr, sondern ein normales Mitglied des Rates und einer Partei, welche

1. August-Feiern nicht unbedingt auf seine Fahne geschrieben hat.

Wie Sie gleich merken werden, möchte ich trotzdem eine «patriotische» Rede halten, einfach eine der etwas anderen Art. Der 1. August knüpft an den Gründungsmythos der Eidgenossenschaft an, der aber zum wesentlichen Teil erst 1804 vom deutschen Schriftsteller Friedrich Schiller im Stück «Wilhelm Tell» niedergeschrieben worden ist. Betrachtungen über den Rütlischwur und die mutigen Taten der alten Eidgenossen, interessieren mich weniger und ich möchte sie nicht mit meiner Meinung dazu langweilen. Mich interessiert viel mehr das Hier und das Heute.

Wir befinden uns vor dem schönen Quartiertreff, einer historischen Stätte, die bestimmt älter ist als Schillers Schauspiel, wir sind in Hirslanden, einem meiner Lieblingsquartiere, wo ich allerdings leider (noch) nicht wohne. Wir sind eine bunte Gruppe von Menschen, deren gemeinsame Nenner es offenbar ist, in Hirslanden zu leben, zu arbeiten, zu feiern... und einen starken Bezug zu diesem Quartier zu haben. Es schwingt, wenn ich überall die Hirslandenfahne sehe mit der gelben Ähre auf dem blauen Feld, Stolz mit und auch ein klein wenig Lokalpatriotismus. Diesen finde ich gut. Abgesehen davon erinnert die gelbe Ähre auf dem blauen Feld auch an die Ukraine, und auch das passt bestens.

Ich möchte jetzt erklären, weshalb ich als Politiker von der linksradikalen AL dem Patriotismus Positives abgewinnen kann.

Aufgewachsen in einem tiefroten Elternhaus – das Herz meiner Eltern schlug für die Sowjetunion – fühlte ich mich früh der internationalen Solidarität verpflichtet. «Hoch die internationale Solidarität» war einer der ersten Slogans, die ich gelernt habe, als ich Ende der 1960er-Jahre als Siebenjähriger mit meiner grossen Schwester an meiner ersten Demo gegen den Vietnam-Krieg teilnahm. Diese Grundhaltung habe ich noch heute: Ich fühle mich ebenso als Bürger dieser Welt, wie einer von Zürich oder eben als Adoptivbürger von Hirslanden. Wenn mich heute das Konzept des - sagen wir mal - «kulturellen Patriotismus» interessiert, dann aus der Überzeugung heraus, dass jeder Ort, jedes Land und noch mehr eine Willensnation wie die Schweiz darauf angewiesen ist, eine gemeinsame Geschichte zu schreiben. Das hat nichts mit Herkunft und Stammbäumen zu tun, die jahrhundertalte Verbundenheit bezeugen, sondern mit Sprache, Kultur, gemeinsamen Erfahrungen und gemeinsamen Anliegen und Taten. Was häufig in die Nähe des Patriotismus gebracht wird oder sogar mit ihm vermischt wird, ist der Nationalismus. Und den Nationalismus, meine Damen und Herren, den verabscheue ich zutiefst, in welcher Form auch immer. Die Idee, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von der Nationalität abhängig zu machen, heisst einzuteilen, wer dazu gehört und wer nicht. Es heisst, sich gegenüber anderen Nationalitäten abzugrenzen, Andere auszuschliessen oder sich von ihnen abzuschotten, es heisst auch eine Rangordnung unter Nationen zu erstellen. Vor drei Wochen habe ich in einem Artikel gelesen, dass in der Schweiz Andersdenkende als Feinde betrachtet werden. Die Schweiz sei, haben Forschende der Harvard Universität untersucht, unter zwölf OECD-Ländern das Land, das nach den USA die höchste Antipathie gegen Andersdenkende aufweist.

Das heisst, dass sich die Leute zunehmend in Gruppen Gleichgesinnter zurückziehen und mit Andersdenkenden gar nicht erst reden. Für eine Demokratie ist das eine bedenkliche Entwicklung.

Dieser Gefahr möchte ich die Idee des vorhin genannten «kulturellen Patriotismus» entgegenstellen: Ich verstehe darunter eine Zugehörigkeit, welche auf verschiedensten Aspekten beruht und keinen Pass benötigt. Es ist ein Konzept der Teilhabe an einer Gemeinschaft, welche auf Nachbarschaft, auf Nähe und auf Austausch beruht. Ich rede da nicht vom «Melting Pot», einer Metapher, die beschreiben soll, wie verschiedene Kulturen ineinander aufgehen sollen. Und auch nicht vom Konzept der «Salatschüssel», wo verschiedene Kulturen und Gemeinschaften nebeneinander leben und im besten Fall anlässlich eines Quartier- oder 1.Mai-Fests einmal miteinander in Berührung kommen. Ich bin überzeugt, dass weder friedliches Nebeneinander noch «Durchdringung von Kulturen» die Lösung ist. Es gibt viele Menschen, die sich über die Religion miteinander verbunden fühlen: Reformierte oder katholische Glaubensgemeinschaften sind – auch wenn sie viel von ihrer Ausstrahlungskraft verloren haben – nach wie vor Orte, wo dieses Bedürfnis nach einer Gemeinsamkeit, eines Austausches und sich gegenseitig Verstehens erfüllt wird. Ich gehöre als Konfessionsloser nicht dazu, was ich zum Beispiel als Kind durchaus auch vermisst habe. Für mich gab es weder Religionsunterricht noch Pfadi. Es gibt Vereinigungen von Angehörigen ausländischer Gemeinschaften, seien es Italiener:innen, Kurdin:innen oder Sri Lanker:innen. Es ist für diese Menschen, die zum Teil erst seit Kurzen in der Schweiz leben und vielleicht nicht einmal die Sprache sprechen, wichtig, sich in eigenen Vereinen zu treffen und die gegenseitige Hilfe zu organisieren. Schön ist es aber vor allem, wenn es zu Überschneidungen kommt, und es über die Differenzen hinweg zum Austausch kommt.

Es scheint mir, dass die Quartierebene, und damit komme ich zu unserem Anlass heute zurück, ein sehr fruchtbarer Boden ist für die von mir gewünschte Gruppenbildung.

Der Quartierverein Hirslanden, vor 136 Jahren gegründet, «fördert die Interessen des Stadtquartiers Hirslanden, indem er Kontakt mit den Behörden pflegt, Veranstaltungen durchführt und das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Einwohnern mit anderen geeigneten Mitteln aufrechterhält.» So steht es in den Statuten und so will es, denke ich, der Vorstand auch umsetzen. Das passt mir gut – Ihnen auch, denke ich.

Es sei mir erlaubt, an dieser Stelle als «Ausser-Hirslander» etwas zum Quartier zu sagen. Hirslanden ist, das habe ich schon erwähnt, mein heimliches Traumquartier und beinhaltet ein gutes Stück meines aktuellen politischen Engagements, angefangen beim Hofacker, der «Sünde aller Sünden». Sie wissen wovon ich spreche: Die sehr schöne, begrünte Siedlung am Hegibachplatz aus den 1920er-Jahren, die vor bald zwei Jahren abgerissen worden ist und deren Bewohner - 46 Mieterparteien - in alle Himmelsrichtungen verstreut worden sind. Die neuen Häuser werden in Kürze fertiggestellt, über deren Architektur lässt sich streiten. Was hingegen zählt: Die neuen Mietzinse sind nun publik: Und sie sind doppelt so hoch wie vorher. Ich zweifle daran, dass die damalig Mietenden an die Hofackerstrasse zurückgehen können.

Meine Tochter lebt zusammen mit ihrem Mann und ihren Kindern seit ein paar Jahren gleich hier gegenüber an der Forchstrasse, an einem Ort, welcher der kleinen Familie bereits ans Herz gewachsen ist. Hirslanden ist ein Wohnquartier, eines im Kreis 7, wo es bis vor Kurzem zumindest noch möglich war, eine erschwingliche Wohnung zu finden, eines wo der Schulweg nie zu lang war, sei ins Freiestrasse-, ins Hofacker- oder Balgristschulhaus. Hirslanden ist das merkwürdige Quartier, dessen eigentliches Zentrum ausserhalb der Grenzen liegt, nämlich am Kreuzplatz, wo die Hirslanderinnen und Hirslander anzutreffen sind. Das weiss ich genau aus der Erfahrung des Unterschriftensammlens, wo ich immer anhand der Adresse feststellen kann, woher die Leute kommen. Hirslanden ist aber auch, und das ist für mich wie für Sie eine grosse Herausforderung, eines der Quartiere, die zurzeit umgekrempelt werden. Es genügt, die Forchstrasse entlang zu gehen und zu sehen, wie viele Baugespanne aufgestellt sind, ganz zu schweigen von den unzähligen Projekten, die in irgendeinem Schreibtisch einer Immobilienfirma oder Anlagestiftung schlummern. Oben am Balgrist entsteht zurzeit die grösste Spitallandschaft der Schweiz, weiter unten reisst die Abbruchbirne die Altbauten nieder. Mein Anliegen ist – und das wissen die meisten Anwesenden hier – dass die Bevölkerung nicht einfach ausgetauscht wird. Natürlich brauchen die Ärztinnen und Ärzte in den Spitälern Wohnungen und können dafür auch etwas mehr bezahlen. Aber auch die Pflegerinnen, Physiotherapeuten oder Reinigungskräfte brauchen Wohnungen, die nicht irgendwo weit weg sein sollen.

Ich kämpfe da um jede bezahlbare Wohnung, - das ist dann mein «persönlicher Patriotismus» -, die es nicht aufzugeben gilt, damit die bisherigen Bewohner im Quartier bleiben können. Somit ist meine 1. August-Rede dennoch zur politischen Rede geworden, was Sie vermutlich von mir auch erwartet haben.


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